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PFAS und ihre Wichtigkeit für die Industrie

October 08, 2024

PFAS und ihre Wichtigkeit für die Industrie
Beate Lorenzoni, PR-Agentur Lorenzoni

Per- und Polyfluorierte Ver­bin­dungen (PFAS) sind ein heiß dis­ku­tier­tes Thema der Industrie. Seit ihrer Erfindung vor rund 80 Jahren finden sie sich in un­zäh­ligen Pro­duk­ten und der Industrie. Die meisten sind langlebig, toxisch und reichern sich in der Umwelt an, ge­fähr­den unser Wasser, kurz gesagt ein Um­welt- und Gesund­heits­problem – aller­dings nicht alle.

Trotzdem sollen jetzt PFAS euro­pa­weit pauschal verboten werden. Ein Auf­schrei in der In­dustrie und letzt­lich der Dis­tri­bution als Zu­lie­ferer von Bau­teilen für Lösungen, in denen die Stoffe für viele Produkte und Prozesse un­ver­zicht­bar sind.

Man spricht bei PFAS von »Ewigkeits­chemi­kalien«, weil sie wasser-, fett- und schmutz­abwei­send sowie chemisch und thermisch sehr stabil sind. Sie um­fas­sen rund 15.000 Stoffe, die in der Chemie, Medi­zin­technik, indus­triel­len An­wen­dungen und unter­schied­lichs­ten Ver­brau­cher­pro­dukten zum Einsatz kommen. Laut ECHA (Euro­pä­ische Chemi­kalien­agentur) werden allein in der EU jährlich rund 300.000 Tonnen PFAS produziert und verarbeitet. Davon ist die Per­fluor­octan­säure (PFOA) seit 2020 in der EU verboten, und die Per­fluor­octan­sulfon­säure (PFOS) stark begrenzt.

Generell sind die Bedenken berechtigt: Laut UN⁠-Umweltprogramm ⁠UNEP⁠ treiben mitt­ler­weile durch­schnitt­lich 13.000 Plastik­müll­partikel auf jedem Quadrat­kilo­meter Meeres­oberfläche. Schätzungen zufolge zirkulieren 250 Millionen Teile im Mittel­meer und sam­meln sich in sogenannten Akku­mu­la­tions­ge­bieten (Quelle: UBA). Der WWF bestätigt: Drei Viertel des Mülls im Meer besteht aus Plas­tik, kon­kret ge­langen jedes Jahr zwischen 4,8 und 12,7 Mio. Tonnen Plastik in die Meere.

Andererseits haben PFAS aufgrund ihrer spezi­fi­schen Eigenschaften gerade im Bereich der Zu­kunfts­tech­nologien für Innovationen und tech­nische Weiter­ent­wick­lungen große Bedeutung, u.a. in der Halb­leiter­herstellung und in Brenn­stoff­zellen. In vielen Branchen kommen diese Stoffe dann zum Einsatz, wenn extreme Rahmen­be­din­gungen wie hohe oder niedrige Temperaturen, hohe Rei­bungs­wider­stände oder aggres­sive chemi­sche Be­din­gungen dies er­fordern. So tragen sie in An­la­gen und Er­zeug­nissen zur Ver­länge­rung der Lebens­dauer, Re­du­zierung der Wartungs­inten­sität und zur Erhö­hung der Sicher­heit bei.

Schlüsselrolle für innovative Technologien

Für viele Technologien sind PFAS un­ver­zicht­bar – etwa für die Energiewende. Das Beispiel der Ener­gie­ge­winnung zeigt die An­wen­dungs­be­reiche sehr plakativ auf – von der Erzeugung (z.B. über Wind­kraft), der Über­tra­gung und Verteilung bis hin zur Nutzung.

In einer Windkraftanlage dient ein PFAS-Stoff als Schmier­mittel, das u.a. die Rotor­blätter während der Produktion von der Form trennt, oder für gleich­mäßige kinema­tische Be­we­gungen sorgt. Geht es um den Netz­zugang, sind die hohe Be­ständig­keit gegen extreme Hitze und aggres­sive Chemi­kalien, die guten Isolier­eigen­schaften und geringe Wasser­auf­nahme aus­schlag­ge­bend für den PFAS-Einsatz in Kühlrohren.

Dasselbe gilt für die Ausrüstung zur Strom­über­tra­gung und -verteilung, wo die Stoffe zudem in Dich­tungen, Gleitringen und Schalt­düsen vor­kom­men. Geht es um die Spei­che­rung der elek­tri­schen Energie – konkret Lithium-Ionen-Batterien – ist das Binde­mittel in der Kathode der Batterie PFAS-haltig. Auch die Energie­spei­cherung mit einer Brenn­stoff­zelle kann nicht ohne PFAS-haltigem Material bei Mem­branen und Dich­tungen und mehr erfolgen. In Wärme­pumpen von Gebäuden schließlich punkten PFAS-Stoffe mit ihrer hohen Tem­pe­ratur-, Che­mi­ka­lien- und UV-Be­stän­digkeit, der hohen Durch­schlags­festigkeit, dem hohen Brechungs­index, der Feuchtig­keits­barriere – zudem sind sie von Natur aus flamm­widrig und vermeiden das Fouling in Wasser­sys­temen.

Keiner dieser Bereiche würde ohne so­ge­nannte Quer­schnitts­tech­no­logien, u.a. Pum­pen, Kom­pres­soren, elektrische Kontakte, Halb­leiter, elektrische An­triebe, in denen Kom­po­nenten Schlüssel­funk­tionen übernehmen, funktionieren. Zum reibungs­losen Betrieb der Bau­teile tragen wiederum ver­schie­dene PFAS-Stoffe bei – sie machen Bau­teile resis­tent gegen Hitze, Druck und Abrieb. Das gilt ins­be­sondere für die Halb­leiter­herstellung, denn zurzeit sind keine chemischen Stoffe ver­fügbar, die in gleicher Weise für die Durch­führung der bei der Chip­her­stellung not­wen­digen chemi­schen Pro­zesse geeignet wären.

Auch in der Industrie sind die PFAS nicht wegzu­denken, wo sie beispielsweise als feste Substanz oder Schmierstoffe das Austreten von Flüssigkeiten verhindern, die Langlebigkeit von Produkten erhöhen, die Abfallmenge verringern, und Schutz vor Brand, Hitze, Flammen bieten. Dazu kommt ihre niedrige elektrische Leitfähigkeit, die dielektrische Isolierung und vieles mehr. In vielen in­dus­tri­ellen Pro­zes­sen müssen etwa Säuren trans­portiert und ab­ge­pumpt werden – ohne ein PFAS-Innenleben würden diese Pumpen in kürzester Zeit von den Säuren zerstört.

Alternativensuche läuft

Ohne Zweifel sind diese Ewig­keits­che­mi­kalien speziell im Bereich der Zu­kunfts­tech­no­logien für Innovationen und technische Weiter­ent­wick­lungen von großer Be­deu­tung. Dem stehen ihre ge­sund­heits­gefähr­denden Eigen­schaften gegenüber.

Schon länger wird an Alternativen geforscht, etwa am Fraunhofer Institut, das eine stei­gen­de Zahl an Anfragen nach Ersatz-Chemikalien, umwelt- und human­toxi­ko­lo­gischen Be­wer­tungen ver­schie­dener PFAS-Materialien, Recycling-, Filter- und Reinigungs­tech­no­logien verzeichnet. Es gibt erste viel­ver­spre­chen­de Ansätze, aber die Entwicklung braucht Zeit, die knapp ist. Denn die EU-Mitgliedsstaaten treiben die deutlich ein­ge­schränkte Ver­wen­dung der PFAS stark voran, die Ent­schei­dung der EU-Kom­mis­sion wird in 2025 erwartet.

Die Regis­trierung, Bewertung, Zulassung und Be­schränkung regeln die REACh-Verordnung (EG) Nr. 1907/2006. Der Be­schrän­kungs­vor­schlag zielt da­rauf ab, die Herstellung, das Inverkehrbringen sowie die Verwendung aller PFAS (als Stoffe und als Bestandteile von Gemischen und Erzeugnissen ab einer bestimmten Konzentration) zu verbieten. Im Dossier sind (zeitlich begrenzte) Aus­nahmen für wenige Verwendungen für 6, 5 bzw. 13,5 Jahre vorgesehen. Für den Großteil der An­wen­dungen sind jedoch keine Aus­nahmen geplant, sodass diese bereits 18 Monate nach In­kraft­treten der Be­schrän­kung verboten wären.

Weil auch unter den PFAS einige als »polymers of low concern« – also nachweislich un­ge­fähr­lich für die Umwelt – ein­gestuft werden, wäre ein ge­ne­relles Verbot der PFAS ein folgen­schwe­rer Schritt, unter dem ganze Zu­liefer­bran­chen wie die Distri­bution, Kom­po­nenten-Hersteller und andere massiv leiden würden. Zu­kunfts­wei­sende Schlüssel­tech­no­logien und damit die Inno­vations­fähig­keit Europas würden auf dem Spiel stehen. Darum ist für eine nach­haltige Re­gulie­rung der Stoffe eine dif­feren­zierte Vor­gehens­weise ge­boten.

Hierbei muss dringend berücksichtig werden, ob die Verwendung eines PFAS-Stoffes ein nicht beherrschbares Risiko für die Umwelt oder die menschliche Gesundheit darstellt und ob geeignete Alternativen existieren. Geschieht dies nicht, besteht die Gefahr, dass dringend benötigte Chemikalien nicht mehr auf dem Markt verfügbar sind und innovative Zukunftstechnologien nicht entwickelt werden können. Dies hätte massive Aus­wir­kungen auf die Industrie und den Wirt­schafts­stan­dort Europa. Die Existenz vieler mittel­stän­di­scher Un­ter­neh­men wäre bedroht; das Erreichen von Umwelt- und Klima­schutz­zielen des EU-Green Deals in Frage gestellt.

In Europa scheint man nun die Überlegung eines pauschalen Verbots zu überdenken – zu Gunsten eines dif­feren­zierten Ansatzes, wie ihn Groß­bri­tannien prak­tiziert. Dort wurden 38 PFAS, die als »Polymers of low concern« aus dem Verbot aus­ge­nommen, mit dem Verweis auf ihren ent­schei­den­den Einsatz für viele industrielle Prozesse.

Fazit: Eine ausgewogene Regulierung für Innovation und Versorgungssicherheit

Eines ist klar: Ein pauschales Verbot von PFAS be­droht die Versor­gungs­ketten der Distri­bu­tion und die Inno­va­tions­kraft vieler Schlüssel­industrien. Eine dif­feren­zierte Regu­lie­rung, die un­ver­zicht­bare An­wen­dungen erlaubt, ist ent­schei­dend, um sowohl techno­lo­gische Fort­schritte als auch Klima­ziele zu sichern.

Und so wird es ohne Übergangsfristen und Aus­nahme­re­ge­lungen nicht klappen, schließ­lich sind PFAS zu wichtig für die Ener­gie­wende, Medizin­technik, Halb­lei­ter­in­dustrie. Die Distri­bution bleibt dabei ein wich­tiger Partner, um Umwelt­schutz und indus­triel­len Fort­schritt in Ein­klang zu bringen.

© Grafik ZVEI, VDMA, VDA

Quellen:

© Bildmaterial pers., B. Lorenzoni

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