»Echten Wert bekommt man nicht umsonst«
February 08, 2023
Distribution im Fokus – Gerade die Stärke der Distribution hat in den letzten Jahren gegen die Distribution gewirkt.
Quelle: Computer & Automation · Januar 2023; Das Interview führte Andrea Gillhuber.
Material- und Komponenten-Engpässe sowie Probleme in der Lieferkette halten Unternehmen auf Trab. Wie sehen Sie die aktuelle Situation?
Andreas Falke: Ich frage mich, ob es richtig ist, von Engpässen zu schreiben, wenn wir auf der anderen Seite ein solch massives Wachstum in Umsatz und in Stückzahlen zu vermelden haben.
Der Umsatz der beim FBDi gemeldeten Distributoren stieg – basierend auf dem schon sehr starken Q3/2022 – um satte 44 Prozent auf 1,36 Milliarden Euro und übertraf damit das Rekordquartal Q1/2022 deutlich. Da jedes Quartal des Jahres 2022 erheblich über dem Vorjahresquartal lag, staunen wir über den weiterhin hohen Auftragseingang.
In Asien sehen wir einen Einbruch im Consumer- und Computerbereich, der normalerweise dann auch unsere Märkte trifft, aber bis heute zeigen die Zahlen ein anderes Bild als die Erfahrung aus den früheren Achterbahnfahrten der Branche.
Selten waren die Spezialisten so uneins in ihren Prognosen, die von zweistelliger Schrumpfung bis zu zweistelligem Wachstum reichen. Ich selbst erwarte eine Konsolidierung im einstelligen Bereich – aber auch ich bin unsicher ob der »Großwetterlage«.
Erwarten Sie in Sachen Bauteile- und Materialverfügbarkeit eine Entspannung der Lage?
Andreas Falke: Eine echte Entspannung erwarte ich nicht, denn selbst bei sinkender Nachfrage und zunehmender Produktionskapazität auf Herstellerseite sehen wir unkalkulierbare Einflussfaktoren, die Druck auf die Bauteilverfügbarkeit ausüben.
Ressourcenprobleme werden Lieferketten immer stärker unter Druck setzen. Zuallererst werden wir durch zusätzliche Personalprobleme auf allen Seiten Friktionen erfahren, die vom Entwickler bis zum Spediteur reichen.
Weitere unkalkulierbare Einflussfaktoren werden sich auf die Verfügbarkeit auswirken und die Preise weiter antreiben – und hier rede ich nicht nur von Rohstoffen, sondern auch von Sanktionen und Umweltereignissen.
Welche Schritte müssen Unternehmen gehen, um ihre Lieferkette abzusichern? Müssen hier komplett neue Wege eingeschlagen werden?
Andreas Falke: Ja, die Frage ist nur, welche. Wenn ich da die hundertprozentige Antwort hätte …
Eines ist sehr deutlich – nicht nur in der Politik: Wir müssen Abhängigkeiten reduzieren. In den zurückliegenden »goldenen Jahren« wurde alles ökonomisiert und verschlankt, um durch eine optimale Kostenstruktur Preisführerschaft darstellen oder Erträge optimieren zu können.
Dieses Gedankenmodell muss sich nun einer Realität stellen, die eben nicht so »Easy to Develop« oder eben »Easy to Produce« wie »Easy to Use« ist. Sicherheit gewinnt an Bedeutung: »No Risk, No Fun« ist jetzt Spruch eines Hasardeurs, der wahrscheinlich mit dem Rücken zur Wand steht.
Ganz unabhängig vom Krisenmodus, in dem wir gegenwärtig lernen zu leben, ist die Zeitenwende auch eine Neuorientierung: Wer nicht mit der Zeit geht, der verschwindet jetzt eben auch schneller vom Markt. Auf einmal ist wieder transparent, dass auch eine Lieferkette nur so stark sein kann wie das schwächste Glied. Es wird notwendig über den Tellerrand zu schauen und die Arbeitsparadigmen zu verändern. Kooperation und Kommunikation werden wichtiger!
»Reduce to Max«, also Kernkompetenz als Prinzip mit dem Ziel, billigere Teillösungen zuzukaufen, findet ein Ende – nicht aufgrund des Lieferkettenschutzgesetzes, sondern wegen der Notwendigkeit, leistungsstarke Partner auf Augenhöhe zu haben oder eben zu entwickeln.
Warum sollten Unternehmen ihr Obsoleszenzmanagement anpassen und was sollten sie dabei berücksichtigen?
Andreas Falke: Entsprechend dem bereits Gesagten muss man schon ganz vorne bei der Entwicklung ansetzen. Die Verfügbarkeit von Technologien und »Second Source« schlägt Preis und »Over-The-Top-Performance«.
Wir haben uns zu lange in der Geborgenheit eingerichtet, dass alles (be-)schaffbar ist; nun sehen wir ein, dass es nicht so einfach ist beziehungsweise bleibt und vielleicht auch nie wirklich war.
Schon die Pflichtenhefte sollten Verfügbarkeit, Second Source und gegebenenfalls in kritischen Bereichen »Double Engineering« vorschreiben, um Unwägbarkeiten möglichst flexibel begegnen zu können. Und – um es mal deutlich zu sagen – das Ganze nicht wegen der Probleme, die wir vorhersehen, sondern genau wegen denen, die uns heute nicht einfallen.
Wie können Distributoren dabei unterstützen?
Andreas Falke: Distribution ist in diesem komplexen Markt der Schlüssel schlechthin, um eine situative Lieferkette zu designen, die entsprechend den individuellen Anforderungen der Marktteilnehmer optimiert ist.
Der sichere Zugang zu den Herstellern, den nur Distributoren mit einer Franchise haben, macht doch Logistik-Planungen und Informationsausvtausch über Neuprodukte oder Specs bis hin zu Verfügbarkeiten oder Lebenszyklus erst möglich. Nur hier können die Kunden den Wert bekommen, den sie in Zukunft immer stärker brauchen.
Das erfordert aber die oben bereits erwähnte Kooperation, Kommunikation, Nähe, Verständnis und Vertrauen. Wer nur den besten Preis sucht und dann Grauimporte kauft, wird das irgendwann sehr schmerzhaft verstehen: Echten Wert bekommt man nicht umsonst. Der Slogan »Ich bin doch nicht blöd!« wird nicht umsonst von der Werbung nicht mehr gesetzt – die Antwort lautet nämlich immer öfter »Doch!«
Mit welchen Herausforderungen sieht sich die Distribution konfrontiert?
Andreas Falke: Gerade die Stärke der Distribution hat in den letzten Jahren gegen die Distribution gewirkt. Die Sicherheit, ausschließlich Originalware direkt vom Hersteller zu liefern, hat dazu geführt, dass Importe vom Graumarkt über Broker ihren Markt bei den Kunden gefunden haben. Diese wunderten sich, dass ihr Distributionspartner nicht liefern konnte.
Oft hat hier ein Spot-Business das Image beschädigt, das man sich mit komplexen Logistikkonzepten – die in der Regel deutlich besser bedient werden konnten – über Jahre hinweg aufgebaut hatte.
Dieser Negativwahrnehmung müssen wir entgegenwirken. Das bedeutet aber auch, dass wir unseren Mehrwert verkaufen müssen. Gegenwärtig wird noch immer zu viel Value Added Service in den Komponenten-Preis inkludiert. Das ist nicht der richtige Weg, denn: »Was nichts kostet, ist nichts wert!«
Eine Initiative hierzu ist ein Round-Table, den der FBDi beginnend Ende März als Web-Konferenz für EMS und Mitglieder des FBDi einrichtet, in dem Key-Notes und Diskussionen ein besseres gegenseitiges Verständnis und klarere Sicht auf den Markt bringen soll.
Die große Herausforderung wird aber ganz sicher in der weiteren politischen, wirtschaftlichen und ökologischen Entwicklung liegen. In all diesen Bereichen spielt Elektronik eine große Rolle als Ursache und / oder Lösungsbeitrag – bange ist mir nicht um die Arbeit, sondern um das notwendige Personal, dass in allen Bereichen fehlen wird.
Welche Rolle werden Technologien wie Künstliche Intelligenz in der Beschaffung von Bauteilen spielen?
Andreas Falke: Schon heute wird KI in vielen Bereichen der Produktions- und Logistikplanung eingesetzt, oft noch als zartes Pflänzchen, das aber mit seinen Wurzeln in immer mehr Bereiche hineinwächst – beschleunigt sicher durch Engpässe bei der Verfügbarkeit von Mitarbeitern.
Aber Möglichkeiten und Qualität hängen von Struktur und Daten ab – hier ist der wichtige Schritt zur Digitalisierung und zur Vorbereitung für KI: Welche Sensoren habe ich, um Zustände zu erfassen und dann bearbeiten zu können?
Die Rolle der KI wird riesengroß sein, die Frage wann, ist dabei die relevantere. Hier sehe ich große Unterschiede, die nicht nur in der Innovationskraft der Distributoren begründet sind, sondern auch in der Bereitschaft der Kunden und Lieferanten Daten zu erfassen und zu teilen.
Immer mehr Unternehmen bieten auch reine Softwareprodukte an. Wie bzw. in welcher Form nehmen Distributoren dieses Segment in ihr Angebot mit auf?
Andreas Falke: Zu dieser Frage habe ich mich im Bi-Weekly – der alle zwei Wochen stattfindenden Web-Konferenz der Inhaber und Führungskräfte der FBDI-Mitglieder – rückversichert, weil sie mir aus meiner Perspektive doch sehr distributionsfern schien.
In der Tat sieht sich die Distribution hier mit mehreren entgegenstehenden Aspekten konfrontiert, die eigentlich nur sehr hardwarenahe Software als Produkte zum Vertrieb über Bauelemente Distribution zulassen.
Wahrnehmung und unterschiedliche Businessmodelle bis hin zu Haftung und Vertragsthemen lassen neben der Qualifikation der Mitarbeiter hier ein stärkeres Engagement der Distribution nicht zu. Größere Player erwarben und erwerben dann eher Spezialisten, um diesen Bereich in einer komplett losgelösten Division zu bedienen. Darüber hinaus werden Regulierungen aus dem Bereich der EU-Cybersecurity-Anforderungen ein Übriges tun, der Bauelemente Distribution den Marktzugang zu erschweren.
Aber wie bereits ausgeführt – es gibt mehr als genug zu tun für die Distribution!
Auf jeder Hochzeit zu tanzen, mag ja Spaß machen. Aber jede Braut zu heiraten, verbietet der gesunde Menschenverstand – und das Gesetz.