Technologie schlägt Volumen
27. Januar 2022
Die Distribution im Fokus
Quelle: www.computer-automation.de Nr. 1/2022 (ag)
Ein Interview mit Andreas Falke, Geschäftsführer FBDi
Computer Automation: Warum werden Distributoren zum Teil immer noch nur als Bauteilebeschaffer gesehen denn als Systempartner?
Andreas Falke: Tatsächlich sind Distributoren immer sehr kundenorientiert, um deren Anforderungen bestmöglich zu genügen. Vor allem in der komplexen Supply Chain »Elektronik« beläuft sich ein Großteil des Umsatzes auf das Fulfillment zwischen großen OEMs oder EMS (Electronic Manufacturing Services) und den Distributoren; hier treten sie vorrangig als Logistikpartner auf.
Bei Entwicklungs- und Systemkunden sind Distributoren demgegenüber in beratender Funktion tätig, zum Beispiel durch ihre Field Application Engineers, bieten aber auch die Logistikdienstleistungen an. Vor allem bei den kleinen und mittelständischen Kunden sehe ich die Distribution ganz klar als Systempartner.
CA: Gerade im Maschinenbau werden Distributoren mehr als Partner für OEMs und EMS gesehen. Es gibt immer noch Berührungsängste, auf den Distributor als Systempartner zuzugehen. Wie möchten Sie dem entgegenwirken?
AF: Besonders in der heutigen Zeit ist es existenziell, den richtigen Partner zu finden. Kleine und mittelständische Unternehmen, die Hidden Champions der Industrie und für mich das Rückgrat der Wirtschaft, sind nicht unbedingt die absoluten Elektronikspezialisten.
Im Maschinenbau gelten andere Planungs- und Lebenszyklen als im Elektronikbereich. In der Elektronik ist vieles schnelllebiger und komplexer: Oftmals gehen Produkte und Komponenten im Laufe ihrer Entwicklung und Fertigung mehrmals um die Welt, bevor sie beim Endkunden ankommen; zudem sind viele »Single Source«, also nur bei einem Hersteller erhältlich.
Bedeutet für den Maschinenbau: Entwickelt ein Ingenieur an seinem Schreibtisch ruhig vor sich hin, ohne sich bezüglich Laufzeit der Komponenten, Lieferanten, Abkündigungszeiten usw. abzusichern, kann das zu Problemen führen.
Und hier kommen die Distributoren ins Spiel: Ihr Ziel ist es, schon sehr früh im Entwicklungsprozess sehr nah beim Kunden zu sein, um sie genau bei diesen Herausforderungen zu beraten und zu unterstützen. Sie empfehlen dann nur Hersteller mit industrietauglichen Produkten, zum Beispiel hinsichtlich Langzeitverfügbarkeit.
Neben dieser engen Partnerschaft gibt es natürlich Unternehmen, die lediglich Preise anfragen, um diese anderswo zu drücken. Gerade in Zeiten von Lieferengpässen – wie wir sie derzeit erleben – haben diese Firmen häufig die größten Probleme, an Material zu gelangen: Sie sind bei den Herstellern nicht sichtbar und fallen bei langfristigen Planungen »hinten runter«.
CA: Aber ist dann ein KMU vor diesem Hintergrund so spannend für einen Distributor?
AF: Absolut! Wir in Europa müssen uns von dem Gedanken verabschieden, aufgrund unserer Umsatzgröße relevant zu sein. Verglichen mit dem Umsatz eines einzelnen Unternehmens wie Apple oder Samsung sind wir – Sie erlauben mir das Wort – ein Fliegenschiss.
Betrachten wir den Komponentenbedarf auf Bauteile-Level, so entspricht der Bauelemente-Bedarf von Gesamt-Europa rund 10 % des weltweiten Bedarfs.
Wissen Sie, wer noch 10 % vom Weltmarkt einkauft? Jeweils Apple und Samsung. Das heißt, der Elektronikkomponenten-Bedarf von Gesamt-Europa mit all seinen Automobilherstellern und mittelständischen Unternehmen ist vom Volumen her genauso hoch wie der Komponentenbedarf eines einzelnen Unternehmens. Gemessen am Umsatz ist ein mittelständisches Unternehmen aus Deutschland nicht mehr so relevant.
Worauf es wirklich ankommt, sind interessante Produkte, die einen interessanten Markt bedienen und Herstellern einen Ausblick geben können, wohin die Reise geht. Das sind die so genannten Lead Customer, die von der Technologie und Entwicklung her gesehen so interessant sind, dass sie auch unabhängig von Volumen und Marktdurchdringung relevant sind. Und für diese Visibilität bei den großen Herstellern sorgen Distributoren.
CA: Jetzt ist nicht jeder Mittelständler automatisch Technologieführer. Welche Möglichkeiten haben diese Firmen?
AF: Visibilität steigern bedeutet ja nicht unbedingt, bei einem TSMC in Taiwan präsent zu sein, das wäre selbst für einen großen mittelständischen Kunden nicht unbedingt gegeben. Doch den Bedarf des Kunden kennt der Hersteller über den Distributor, weil über diese langfristige Sichtbarkeit bis hin zu Aufträgen gegeben sind, und der Hersteller dementsprechend disponieren kann.
Wichtig dabei ist, den Komponentenbedarf auf Dauer zu planen, um über ein Grundrauschen die Visibilität zu steigern. Denn in diesem Fall ist es kein Problem, im Bedarfsfall 10 bis 30 % mehr Komponenten zu erhalten. Und auch bei Lieferengpässen werden Kunden mit Grundrauschen schneller bedient als solche, deren Bestellungen nur sporadisch kommen. Ich kann nur jedem Unternehmen raten, präsent zu sein.
CA: Könnte man Distributoren in diesem Zusammenhang auch als die Einkaufsabteilung für KMU bezeichnen?
AF: Distribution ist ein extrem komplexes und spannendes Thema, wird aber meist perspektivisch oft nur in einzelnen Facetten wahrgenommen: Brauche ich als Ingenieur Support vom Field Application Engineer bei der Bauteileauswahl, dann denke ich nicht daran, dass der gleiche Distributor vielleicht mit meiner Einkaufsabteilung über die optimale Logistikkette spricht.
Von Lieferantenseite wird der Distributor gerne als verlängerte Vertriebsmannschaft wahrgenommen, obwohl er aber einer der größten Kunden ist.
Sie sehen, der Kunde nimmt uns als Dienstleister und Partner der Einkaufsabteilung wahr, die Lieferantenseite als Teil der Vertriebsmannschaft. Eine gute Kooperation ist also immer dann geboten, wenn alle Facetten wahrgenommen werden und ein offener und intensiver Austausch zwischen allen Beteiligten stattfindet.
CA: Wie passt dann genau in dieses Spannungsfeld die Systementwicklung für Kunden?
AF: Die Unterstützung bei der Systementwicklung für Kunden unterstreicht den Wunsch der Hersteller, die Breitendistribution sicherzustellen. Vor allem Halbleiterhersteller leben in einem extrem schnellen Markt. Das führt dazu, dass es immer etwas Neueres und Besseres gibt als das, was ich gerade verkauft habe. Im Maschinenbau werden Geräte und Maschinen gebaut, die bis zu 20 Jahre nachgeliefert werden sollen und schon mal 50 Jahre halten.
Diese beiden Seiten zu verheiraten, ist eine echte Zerreißprobe, aber genau das, was ein Distributor oft sicherstellt. Hersteller können sich nur um einige wenige Großkunden, sogenannte Key-Accounts, kümmern; das Breitengeschäft übernimmt der Distributor – das ist nicht nur die Sicht der Hersteller.
Aus Sicht der Kunden: Ich habe 500 Hersteller, die irgendwie alle vergleichbaren Bauteile liefern, welches ist nun aber das Richtige für mich?
Hier liefert der Distributor eine Vorselektion entsprechend den Vorgaben. Je besser er den Kunden kennt, umso besser natürlich die Vorselektion. Aus diesem Grund gehören Mittelstand und Distribution schon rein genetisch zusammen.
CA: Sie kennen Lieferanten- und Kundenseite: Welche Märkte öffnen sich in der Zukunft?
AF: Relativ deutlich sehen wir den Zukunftsmarkt Energietechnik. Das Thema Klima mit all seinen Facetten wäre zudem ideal für den deutschen Mittelstand. Denn der deutsche Mittelstand ist nicht der Massenmarkt mit Smartphones, er ist auch nicht der Datenmarkt wie in Amerika mit Google und Co.
Der Mittelstand in Deutschland und Europa ist stark im Bereich »High Mix, Low Volume«. Wir sind schon immer stark gewesen in Nachhaltigkeit: keine Wegwerfprodukte, sondern deutsche Ingenieurskunst!
»Made in Germany« heißt im Prinzip genau das: Qualität, die hält, ist ein sinnvoller Mehrwert. Und das passt genau zu den Themen Klimaneutralität, regenerative Energie, Stromverbrauchoptimierung und so weiter. Das ist für uns ein Zukunftsmarkt, für den Europa gesetzt ist. Ein Markt, der wachsen wird, und ein Markt, der zu den Amerikanern und Asiaten mit ihren Massengedanken nicht so ganz passen mag.
CA: Mit welchen Herausforderungen haben Distributoren im Moment am meisten zu kämpfen?
AF: Im Moment ganz klar mit der Komponentenverknappung, allerdings möchte ich diese aus einer anderen Perspektive betrachten. Im Augenblick reden alle in über abgerissene Lieferketten und es gibt 100 Gründe dafür.
Die Hauptursache liegt allerdings in der Unkenntnis des Markts in Deutschland: Weil wir Angst vor der Pandemie hatten, wurden an den entscheidenden Stellen Aufträge storniert. Hinzu kommt das Cocooning, sprich: Die Menschen igeln sich zu Hause ein und machen was? Sie kaufen Unterhaltungselektronik!
Wenn also die großen OEMs, Automobilzulieferer, Maschinenbauer, Anlagenhersteller sagen »Der Markt bricht ein, ich storniere meinen Bedarf«, dann stehen auf der anderen Seite Unternehmen wie Apple und Samsung und sagen »Stopp, die Bauteile nehme ich, weil ich sie brauche.«
Im Moment liegen wir 20 % über Vorjahresumsatz – nicht, weil die Preise steigen, sondern weil wir tatsächlich mehr verkaufen, allerdings andere Produktbereiche!
Wir werden in Zukunft noch viele weitere Facetten von Nachfragesteigerung erleben, einfach aus dem Grund, dass immer mehr Elektronik in immer mehr Applikationen zu finden sein wird. Prognosen sagen voraus, dass sich der Elektronikmarkt bis zum Jahr 2030 verdoppelt.
Viele Hersteller investieren also massiv in Produktionskapazitäten, Bauteile werden nach der Investitionsphase zu Genüge zur Verfügung stehen. Dann wird es wieder einen Zyklus geben, in dem die Preise fallen.
Es erinnert ein bisschen an die sieben fetten und die sieben mageren Jahre, nur dass sich die sieben Jahre wohl auf eineinhalb Jahre verkürzen werden. (ag)
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