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Halbleiter-Versorgung 2022

14. Januar 2022

Europa muss sich hinten anstellen

Europa muss sich hinten anstellen
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Quelle: Markt&Technik Nr. 1-2/2022 (zü/st)
Wann werden wir den Wende­punkterleben?

»Der Wendepunkt ist in diesem Fall zu definieren als ein Rückgang von den derzeitigen Auf­tragsspitzen hin zu einer normaleren Situation, einem besseren Gleichge­wicht zwischen Buchungen und Rechnungen (Bookings und Billings in Neudeutsch)«, so Georg Steinbe­ger, Vorstandsvorsitzender des FBDi e. V.

Nach Ansicht von Steinberger könnte dies »nach dem Sommer, ge­gen Ende Q3/2022«, der Fall sein. Bis dahin könnte sich das Book-to­Bill-Verhältnis wieder auf annä­hernd 1 zubewegen. Derzeit liegt das laut Steinberger für seine Bran­che gesprochen bei 1,7.

Steinberger geht für 2022 zwar von einer Auf­holjagd der Automobilindustrie und anderer Kunden-Endmärkte aus, sieht darin aber auch weitere Schwierigkeiten. Denn das aktuelle Grundproblem der Supply Chain wird 2022 nicht obsolet werden, im Gegenteil: Die Automobilindustrie – und zum Teil auch die klassische Industrie – konkurriert bei der Halbleiter-Zuteilung mit den Anforderun­gen der globalen Giganten in der Computer-, Ver­braucher- und Kommunikationsbranche.

Und ge­nau auf diese Anforderungen hin werden die Halbleiter-Fertigungskapazitäten ausgerichtet und ein Großteil für diese Segmente bzw. deren Key­Hersteller reserviert.

»Die Automobilindustrie liegt bei der Zuteilung der Kapazitäten hinter Apple«, erklärt Jeremie Bouchaud, Director für Autonomy, EIE & Semiconductor bei IHS Markit, bezogen auf die Priorität, die die Automobilindustrie bei den knappen Halbleiter-Front-End-Kapazitäten ge­nießt.

»Die Front-End-Kapazitäten für Analog-ICs werden in diesem und im nächsten Jahr knapp blei­ben«, prognostiziert Bouchaud. Demnach werde die Automobilproduktion noch mindestens zwei Jahre durch die Produktionskapazitäten auf der Halbleiterseite eingeschränkt bleiben, so das Fazit des Analysten.

Beim Back End bezeichnet Bouchaud die weitere Lage als »noch nicht ganz klar«. Die weitere Entwicklung hängt seinen Aus­führungen zufolge von der Corona-Lage in Süd­ostasien ab und ob es durch die Omikron-Variante zu weiteren Lockdowns dort kommt.

Georg Steinberger sieht in der gegenwärtigen Verfügbarkeits-Krise auch einen fundamentalen Paradigmenwechsel:

»Verfügbarkeit vor Preis wird das Beschaffungsprinzip der Zukunft sein. Die Krise in der Lieferkette 2020 ff. ist ein sehr gutes Beispiel dafür, was passiert, wenn die Großen den Preis für die regelmäßige Versorgung mit allen von ihnen benötigten Komponenten zahlen – der Rest der Kunden schaut in die Röhre.«

Aber ohne die Verfügbarkeit von Technologie gebe es kein oder nur unzureichendes Wachstum, so Steinberger wei­ter. Beschaffung und Management müssten also auf die Sicherung der Verfügbarkeit hinarbeiten, wenn sie sich nicht immer wieder als Kunden zwei­ter Klasse behandelt fühlen wollen. Europa muss sich nach Meinung von Stein­ber­ger eingestehen, dass es nur in der zweiten Liga spielt« – und drin­gend etwas an dieser Situation ändern, und sei es durch die Gründung eigener »Chip-Giganten«, die hochintegrierte Komponenten wie Mikroprozesso­ren, Grafikprozessoren und SoCs produzieren kön­nen.

Ganz so pessimistisch ist Bouchaud indes nicht. Er attestiert zumindest den Auto­mo­tive-OEMs, eine sehr steile Lernkurve in ihrer Liefer­kette durchlaufen zu haben. »Sie versuchen zu ver­stehen, von welchen Chips sie abhängig sind und sogar bei welchen Foundries ihrer Tier-Two-Zulie­ferer die Chips hergestellt werden. Einige OEMs prüfen sogar, wie sie mit Foundries zusammenar­beiten können, um Kapazitäten lange im Voraus direkt bei den Foundries zu buchen«. (zü/st)

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