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Electronica Ahead – Alles und jeder auf einmal

15. Oktober 2024

Electronica Ahead – Alles und jeder auf einmal
Georg Steinberger, Vorstandsvorsitzender des FBDi e.V.

Ich kenne die electronica seit 40 Jahren. Mein erster Besuch – als Student – war 1984.

Ich hatte keine Ahnung von Elektronik. Es war ein Samstag (ja!), der Studententag, und die Aufregung war groß. Berge von Datenbüchern, Mustern und Werbegeschenken wurden von den wichtigen Akteuren der europäischen Elektronikbranche höchstselbst an die junge Generation von Elek­tronik­be­geis­terten verteilt, die darauf brannten, den nächsten Macintosh-Computer oder die nächste Arcade-Spiel­kon­sole zu entwickeln. Ich verstand nichts, aber nahm den Geist auf – dy­na­misch, positiv, innovationsorientiert:

Alles war möglich!

Seitdem ist viel passiert. Ich habe viele weitere »electronicas« erlebt (oder genossen), als Fach­jour­nalist, Verleger und Mar­ke­ting­leiter. Was mir am meisten gefiel, war die Tatsache, dass man auf jeden traf, der in der Branche eine Rolle spielte. In den Hallen, an den Ständen, in den Foren drehte sich alles darum, was als Nächstes passieren könnte.

In den 90er Jahren hielten Unternehmen sogar spannende Neuigkeiten und Neuheiten mo­na­te­lang zurück, nur um sie im Zentrum der Elektronikwelt, Mitte November in München, bekannt zu geben. Und lus­ti­ger­weise kehrten alle Unternehmen, die damals dachten, die Zeit der großen Messen sei vorbei und die die electronica ausließen, mit größeren Ständen und mehr Ankündigungen zurück.

Seit dem Aufkommen des Internets hält niemand mehr auch nur eine Millisekunde etwas zurück. Wenn Sie also dieses Jahr die electronica besuchen, suchen Sie nicht nach Nachrichten von Über­nah­men, den neuesten Innovationen in der Pro­zess­tech­no­logie oder dem neuesten Mitglied einer Prozessorfamilie. Das alles sollten Sie bereits wissen. Was Sie jedoch finden können, sind alle wichtigen Akteure der Branche und ein Gespür dafür, was auf dem Markt passiert. Besonders interessant ist dabei, was in naher Zukunft passieren wird.

Vor zwei Jahren fiel mir der Optimismus vieler Branchenakteure auf, wie sich der Markt entwickeln würde, obwohl einige wichtige Anzeichen – wie Auftragsrückgänge und volle Lager – eher auf eine Konsolidierung als auf weiteres Wachstum hindeuteten. Zugegeben, ich bin einem Teil dieses Optimismus auf den Leim gegangen und glaubte (was ich immer noch tue), dass wir in Europa reichlich Chan­cen haben, die ein enormes Wachs­tum in der Elektronikbranche vorantreiben könnten – wenn sie nur realisiert würden, mit Un­ter­stüt­zung voraus­schau­ender Regierungen, die nicht nur über Trans­for­mation sprechen, sondern sie auch um­setzen.

Was können wir also diesmal erwarten?

Die Realität der letzten 12 Monate war in jeder Hinsicht ernüchternd. Der Markt hat sein häss­li­ches Gesicht gezeigt, aber siehe da, nur in Europa und in gewissem Maße in Japan, wo die »alten Industrien« Automotive und Industrial vor­herr­schen. Asien und ins­be­son­dere die USA haben sich deutlich besser entwickelt.

Während die USA elektrisiert sind durch gigantische In­ves­tit­ionen in ebenfalls gi­gan­tische KI-Daten­zentren, die ein hohes zwei­stel­liges Wachstum insbesondere bei Grafik­pro­zes­soren mit viel Floating-Point-Rechen­leis­tung und Speichern mit hoher Bandbreite vorantreiben (der Rest der Produkte sieht verdächtig nach Europa aus), und Asien wenigstens leicht zweistellig wächst, sitzt Europa auf massiven Kom­po­nen­ten­be­ständen in einer schwächelnden Wirt­schaft inmitten struk­tu­reller Probleme wie Unter­in­vestitionen, Mangel an qualifizierten Arbeits­kräften und zunehmenden Export­pro­blemen in Schlüssel­industrien, nicht zuletzt aufgrund einer viel zu hohen Ab­häng­ig­keit vom chinesischen Markt.

Elektronikkunden und Endverbraucher sitzen auf ihren Händen, was sich in fehlenden Aufträgen und geringer Sichtbarkeit für die nächsten Quartale niederschlägt. Die »Poly­krise«, wie viele die aktuelle geopolitische Situation nennen, trägt auch nicht zur Ent­span­nung bei.

Wenn die electronica 2024 Mitte November ihre Türen öffnet, wie wird die Stimmung sein, was könnten wir mitnehmen?

Wahrscheinlich werden wir kleinere Broker­stände und weniger David Hasselhoff sehen (er war da!), aber hoffentlich viele großartige Diskussionen führen – nicht über Probleme, sondern über Lösungen, nicht über Bürokratie, sondern über Innovation. Sicher wird viel über »Wo sind die neuen Aufträge?« gesprochen, aber hoffentlich noch mehr über »Wie laufen Eure neuen Projekte und wie können wir Euch unterstützen?«

Aus meinen eigenen Gesprächen weiß ich, dass Ingenieure wieder an neuen Projekten arbeiten (statt an der Neu­qua­li­fi­zierung alternativer Lieferanten während der Allokation) und diese werden früher oder später im Kom­po­nen­ten­bereich Früchte tragen (wahr­schein­lich später, aber auf jeden Fall werden sie es). Die electronica ist der richtige Ort, um in wenigen Tagen viele wichtige Kontakte zu treffen und ein Gefühl dafür zu bekommen, was sie denken, planen und tun. Einige Ge­spräche könnten negativ oder gar düster ver­laufen, andere neutral oder mäßig positiv. Du, ich und der Kollege ne­ben­an können viel dazu bei­tra­gen, diese Ge­sprä­che zu gestalten, wenn wir die richtige Bot­schaft haben.

Hier ist mein bescheidener Vorschlag für eine Message:

Wir Europäer sind 450 Millionen Menschen, die unsere Zukunft gestalten können, indem wir die richtigen Dinge tun und glauben. Wir können unsere Länder, Gesellschaften und Volks­wirt­schaf­ten in moderne, nachhaltige Gestalter des 21. Jahrhunderts transformieren.

Technologien wie die Elektronik mögen nicht die Retter sein, aber sie sind die ent­schei­den­den Werk­zeuge auf unserer Reise, und sie sind fas­zi­nie­rende Werk­zeuge. Stellen Sie sich nur vor, welchen po­si­tiven Einfluss sie noch auf Gesundheit, Mo­bi­li­tät, Unterhaltung, Wohnen, ja sogar auf Land­wirt­schaft und Umweltschutz haben können.

Wäre es nicht schön, die Saat des Wandels zu säen und bei der Entwicklung von Tech­no­lo­gien zu helfen, die das Leben vieler Menschen verändern könnten (nicht nur für Europäer)? Wäre es nicht großartig, die jüngere Ge­ne­ra­tion dazu zu bringen, in unsere Branche zu kommen, als die nächsten Unternehmer und Innovatoren?

Um auf den Anfang zurückzukommen: Die electronica war ihr Leben lang in erster Linie eine Fachmesse, aber sie war auch lehrreich, wenn nicht sogar inspirierend für eine breitere Öffentlichkeit.

80.000 Menschen – Aussteller, Kunden, Journalisten und andere Fachleute – sahen es damals als ihre Pflicht an, mit den jungen Menschen zu sprechen und sie in eine viel­ver­spre­chende Zukunft zu ein­zu­laden. Vielleicht sind wir dieses Jahr nur 70.000, aber immer noch begeistert und über­zeu­gend genug, um die Botschaft zu verbreiten:

Elektronik wird den Unterschied machen, und wir sollten besser mit an Bord sein, an der Spitze, aber auch in jeder Ecke der Innovation.

 

© Bildmaterial, G. Steinberger

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