Zeitenwende ist sekundär
October 17, 2023
Von Gas bis Gallium: Wie kritische Rohstoffe unsere Zukunft formen.
Seit dem 24.Februar 2022 ist hochoffiziell, dass wir in der Phase einer Zeitenwende leben.
Dabei stellt sich deutlich die Frage nach dem wahren Grund für die Zeitenwende. Ist es der Einmarsch Russlands in die Ukraine gewesen, oder ist es die in diesem Moment offensichtlich gewordene Blauäugigkeit, von der wir uns abwenden müssen?
Wir haben gelernt, dass die Verfügbarkeit der Ressource Gas, die uns jahrelang günstige Energie und Wohlstand beschert hat, in hohem Maße von den Entscheidungen eines Mannes abhängig ist.
Unter Druck ist es gelungen Lösungen aufzubauen – auch wenn wir noch lange nicht fertig sind.
Andere Ressourcen werden an der Stelle deutlich schwerer zu ersetzen sein, da sie Grundstoffe unserer Wirtschaft sind, die nicht durch regenerative Energien ersetzt werden können.
Wir sprechen hier oft von Bodenschätzen, weil sie wertvoll sind, weil sie in sich das Potential tragen, der Wirtschaft als Basismaterialien bei der Produktion die Herstellung wettbewerbsfähiger Produkte zu ermöglichen.
Ohne diese Rohstoffe kann unsere Wirtschaft nicht produzieren oder müsste Alternativen finden, die ihnen gleich gelagerte Produktion ermöglicht. Das wird nur in Einzelfällen durch technologischen Fortschritt möglich sein.
Wir können nicht mehr verbrauchen, als wir haben.
Die Erkenntnis ist nicht neu. Wir alle kennen den Erdüberlastungstag (2023 in Deutschland am 04.Mai, in den USA schon am 13. März). Das Problem hiermit ist: Wir können definitiv nicht sagen, wann wir den Kredit aus der Zukunft zurückzuzahlen haben.
Für die Analyse und zur Untermauerung politischer Entscheidungen hat die EU ein Dashboard oder auch Informationssystem »RMIS« (»raw materials information system«) aufgebaut, auf das auch der Bürger Zugriff hat. Uns wird mehr als deutlich vor Augen geführt, wie stark wir bei Rohstoffen von anderen Ländern abhängig sind.
87 relevante Rohstoffe werden in dem RMIS analysiert und für Interessierte nachvollziehbar dargestellt.
Nur 37 Rohstoffe werden als unkritisch angesehen, hingegen 50 Rohstoffe als »kritisch«, 25 wiederum sogar als »strategisch kritisch« bewertet.
In dieser Analyse, datiert 16.03.2023, wird dann auch als kritischster Rohstoff Gallium mit einer Risikobewertung von 4,8 (max. 5) gesehen. Passenderweise will China Gallium zusammen mit Germanium nur noch begrenzt liefern bzw. wurde inzwischen die Ausfuhr beschränkt. Beide spielen bei Zukunftstechnologien (u.a. Glasfaserkabel, Halbleiter, Solarzellen) eine Schlüsselrolle.
Diese beiden seltenen Erden sind wenig beachtete Rohstoffe, von denen wir aber wissen, dass sie zu weit über 80 % des Weltmarktbedarfes in China raffiniert werden. Laufen wir also von einer Krise, von einer Abhängigkeit in die Nächste? Ja, es sieht so aus, nur laufen wir nicht – wir sind mittendrin.
Aber es sind ja nicht nur die für uns so wichtigen seltenen Erden, bei denen China seine starke Position nutzt, um den Druck im Kessel zu erhöhen.
Durch unsere Zeitenwende werden wir von bestimmten Rohstoffen weniger benötigen (fossile Energieträger), aber diese größere Unabhängigkeit substituieren wir durch höhere Abhängigkeiten an anderen Rohstoffmärkten.
Denken wir zum Beispiel an Lithium – es ist einer der im »RMIS« der EU als »strategisch kritisch« markierten Rohstoffe, weil Elektromobilität ohne Lithium in der Batterietechnik heute nicht denkbar ist.
Wenn immer mehr Verbrenner durch E-Autos ersetzt werden, wird der Lithium-Bedarf der Menschheit explodieren. Die Mobilkommunikation tut ein Übriges dazu. Smart Phones, Tablets, Notebooks – »Lithium inside«!
Laut einer Studie der Universität Leuven in Belgien droht der EU mittelfristig ein Engpass bei der Versorgung mit Metallen wie Lithium und Kobalt.
Durch die schnellere globale Energiewende und den dadurch extrem steigenden Bedarf im Verhältnis zum Abbau der benötigten Metalle könnte es ab 2030 zu weltweiten Versorgungsengpässen kommen. Europa selbst hat nur ein kleines Zeitfenster, um seine heimische Produktion voranzutreiben. Ein großer Teil des europäischen Metallbedarfs müsste auch durch Recycling gedeckt werden.
Für Europa erwarten die Forscher, dass 35-mal mehr Lithium, sieben- bis 26-mal mehr Seltenerdmetalle und 3,5-mal mehr Kobalt benötigt werden, um bis 2050 nachhaltige Energie zu erzeugen und die EU klimaneutral zu machen.
In dem geopolitischen »Spiel«, das uns allen deutlicher vor Augen tritt, erkennen wir, dass wir unsere Zukunft nicht autark planen können, sondern wie sehr wir – und unsere Wirtschaft – vom Verhalten anderer abhängig sind. Dumm, dass diese uns nicht unbedingt als Priorität ansehen.
Erschrocken stellen wir fest, dass gerade jene dann auch noch vorausschauender und cleverer unterwegs waren, als die Michels aus dem Wirtschaftswunderland, die selig schlummerten, als andere perspektivisch wichtige Partner aufbauten, drüben hinter den 7 Bergen, wo Rohstoffe reich im Boden liegen.
Nicht allein wegen der steigenden Weltbevölkerung wird der wachsende Bedarf an Rohstoffen nicht mehr linear in unserem erfolgreichen, weil billigen Modell der Linearen Wirtschaft gedeckt und danach verschwendet werden können, getreu dem Motto »Take-Make-Dispose«.
In Zukunft müssen wir uns wohl das Kreislaufmodell der Natur für unsere Wirtschaft zu eigen machen, wir haben gar keine andere Chance. Aber gerade darin liegen auch wieder Zukunftsperspektiven für neue Wirtschaftszweige und -modelle. Dies gilt insbesondere für die, die sich nicht zu schade sind, mal über Re-Use, Recycle und Regenerativ als (Mehr-)Wert nachzudenken.
Die Vorteile liegen auf der Hand: Wir könnten uns unabhängiger machen, unser Abfallaufkommen reduzieren, die Umwelt schützen und neue Technologien entwickeln, die als Basis eines neuen Wirtschaftswachstums dienen könnten, weil überall Bedarf an diesem Know-how sein wird. Dieses Innovationspotenzial, gemeinsam mit der reduzierten Abhängigkeit, sollte uns alleine schon Motivation genug sein.
Aber auch das Klima drängt – ganz zu schweigen davon, dass mancher Rohstoff in einer Art und Weise geschürft wird, dass Lieferkettensorgfaltspflichten die Entdeckung anderer Bezugsquellen noch ratsamer erscheinen lassen.
Es passt, dass in Deutschlands größtem Endlager für Sondermüll inzwischen immer öfter Sondermüll aus dem Salzstock 600 m unter der Erde ausgelagert wird, weil wertvolle Rohstoffe darin enthalten sind. Ist es inzwischen schon günstiger, Sondermüll zu recyceln als Rohstoffe neu zu kaufen? Ich denke, das ist heute noch nicht so, aber sehe darum den Versuch genau in diese Richtung und damit in die Zukunft zu investieren. Evolution schützt vor Revolution?!
Albert Einstein wusste: »Es ist ein Zeichen von Wahnsinn immer das Gleiche zu tun und andere Ergebnisse zu erwarten.«
Es ist definitv nötig vieles anders zu tun, aber auch das sehr klar und verbindlich zu kommunizieren. Veränderung schürt Angst vor Verlust, aber keine Veränderung wäre ruinös. Hoffentlich schafft es unsere Regierung diesmal, das so Wichtige rechtzeitig und richtig zu vermitteln und die positiven Aspekte herauszustreichen, statt Wähler aus Angst vor Verlust zu den falschen Propheten zu treiben.
Merke: Wir sind immer besser, als wir befürchten, wenn wir wollen, was wir können.
[1] Country Overshoot Days 2023 – Earth Overshoot Day
[2] RMIS – Raw Materials Information System (europa.eu)
[3] Schon ab 2030 drohen globale Lithium-Engpässe – Recycling wäre ein Ausweg - Technik - derStandard.de › Wissen und Gesellschaft
[4] Elektromobilität - Rohstoffbedarf in der EU 2030 | Statista
© Credits, SMD.