20 Jahre FBDI Distribution
im Wandel der Zeit
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June 26, 2023

Allokationen – man kann nichts machen, aber das Richtige tun.

»Allein vier Allokationen in 20 Jahren FBDi …«
Thomas Gerhardt, Managing Director GLYN Jones

Quelle: Markt & Technik · Mai 2023; Ein Artikel von Thomas Gerhardt, MD GLYN Jones

Mit schöner Regelmäßigkeit erleben wir Allo­ka­tio­nen. Manche davon sind heftiger und mehr Produkte weltweit sind be­trof­fen, manche sind etwas milder. Mal enden sie halbwegs ak­zep­ta­bel, mal hinterlassen sie immense Schäden.

Einige von uns haben schon mehrere erlebt und deshalb ein Muster erkannt. Jedes Mal sind je­doch auch wieder neue Akteure im Markt, die davon völlig überrascht werden – genau wie ich 1995. Viele wissen deshalb nicht, warum sie tat­sächlich entstehen. Dabei ist das Phänomen seit vielen Jahr­zehn­ten gut erforscht.

Für all diejenigen, die sich dafür inte­res­sie­ren und wissen wollen, wie sie besser durch Allo­ka­tio­nen kommen können, hier ein Erfah­rungs­bericht.

HAlbleitermarkt weltweit

In den 20 Jahren seit der Gründung des FBDi gab es vier Allokationen. Seit meinem Berufs­start 1995 als Vertriebsingenieur in der Dis­tri­bution sogar sechs. Damals lief gerade eine Allokation aus und ich wusste überhaupt nicht, was mir geschah. Die Preise der Bauteile fielen ins Bodenlose. Die Lager waren voll. Kaum jemand wollte etwas bestellen. Einige Jahre danach, bei der folgenden, sehr schlim­men Allokation 2000, dachte ich: »Wie jetzt? Schon wieder so etwas?«

Ein Buch im Regal

Nachdem auch das überstanden war, fand ich 2003 in unserer Heimbibliothek ein Buch, welches meine Frau während ihres Studiums von einem Professor empfohlen bekommen hatte. Mich interessierte das dicke, blaue Werk im Hardcover mit dem interes­san­ten Namen »Die fünfte Disziplin – Kunst und Praxis der ler­nen­den Organisation«.
Deshalb schlug ich es durch Zufall auf Seite 36 auf und sah dort Grafiken mit Lagerbeständen und Bezeichnungen wie »Einzelhändler«, »Groß­händler« und »Fabrik«. Dies weckte meine Neu­gier, da ich hoffte, etwas für die Firma lernen zu können, und ich begann sofort damit, das Buch zu lesen.

Lagerbestände

Es stellte sich heraus, dass gerade dieses eine, zufällig aufgeschlagene Kapitel eine Pflicht­lek­türe für alle Beteiligten in der Elek­tronik-Branche dar­stellt.
Der Autor Peter M. Senge beschreibt unter der Überschrift »Gefangene des Systems oder Ge­fan­gene unseres eigenen Denkens?« ein Spiel, wel­ches um 1960 am Massachusetts Institute of Technology (MIT) – einer der weltweit füh­ren­den Spitzen­uni­ver­si­tä­ten – entwickelt wurde. Das sogenannte »Bier­spiel« (»MIT Beer Distri­bution Game«).

Es handelt sich um ein experimentelles Rol­len­spiel, in dem die Beteiligten ver­schie­dene Po­si­tionen in einer Ver­teilungs­kette ein­neh­men (z. B. Bauteil­her­steller, Distri­bu­tor, Schaltungs­pro­duzent oder – wie im Buch – Brauerei, Großhändler und Ge­tränke­laden). Ziel dabei ist es, die Kosten der Gesamtkette möglichst gering zu halten. Da die einzelnen Par­teien jedoch nur über schriftliche Bestellungen miteinander kommunizieren, wird die Auf­merk­sam­keit in der Regel ausschließlich auf die eigene Situation konzentriert. Die Folge ist, dass sich das System sehr schnell auf­schau­kelt, wie es beim Peitschen­effekt (Bullwhip Effect) bekannt ist.

Bis heute wird dieses Spiel in der Mana­ge­ment-Ausbildung angewendet, in unserer Branche al­ler­dings viel zu wenig. Im oben angesprochenen Buch wird die Elek­tronik-Lieferkette sogar explizit erwähnt, weil sie durch ihre komplexen Prozesse, vergleichbar hohen Standardlieferzeiten und nur schwer steigerbaren Produktions­kapa­zit­äten sehr anfällig für ein Auf­schau­keln ist.

Das jährliche Wachstum der Distribution beträgt seit 2008, als der FBDi begann, seine wertvollen Notarzahlen zu ver­öf­fent­lichen, 5,6 % (Compound Annual Growth Rate = CAGR, rote gestrichelte Linie im Diagramm). Ohne das au­ßer­ge­wöhn­liche letzte Jahr 2022 waren es sogar nur 3,1 %.

FBDI-Umsatz Deutschland

Tatsächlich vollzog sich das Wachstum der viel­ver­spre­chenden Zukunftsbranche Elek­tronik jedoch nicht linear, sondern in Wel­len. Die zwei üblichen Phasen dabei kann man salopp und sehr grob wie folgt be­schrei­ben:

Allokationen dauern ca. 18–24 Monate. Sie sind gekennzeichnet durch lange Liefer­zeiten, steigende Preise, leere Lager, hohe Umsatz­stei­ge­rungen, gute Profite, freundliche Kun­den, selbstbewusste Lie­fe­ran­ten.
In den Zeiten dazwischen, ca. 3–5 Jahre, ist es andersherum: Kurze Lieferzeiten, niedrige Preise, volle Lager, Umsatz­rückgänge, Ab­schrei­bungs­ver­luste, selbstbewusste Kunden und freundliche Her­steller

Warum das so ist, erklärt der Autor bereits 1990 in seinem vielbeachteten Management-Klassiker, der in 20 Sprachen übersetzt und mehr als 1 Million Mal gedruckt wurde.
Ja, Sie lesen richtig. Einer der einfluss­reichs­ten Management-Vordenker der letzten 75 Jahre beschreibt 1990 ein Prinzip, das 1960 von einer Eliteuniversität entdeckt wurde. Das heißt, das theoretische Systemwissen, warum der Elektronik­markt sich regelmäßig aufschaukelt, ist seit Jahr­zehn­ten bekannt. Aber wir reiben uns immer wieder die Augen und diskutieren, warum es dieses Mal passiert ist, wie lange es noch dauert, ob es bald wie­der losgeht bzw. ob es jetzt aber wirklich das letzte Mal war.

Die Trigger sind es nicht allein

Die vielen möglichen Auslöser von Allo­ka­tio­nen werden genussvoll aufgezählt und durch­dis­ku­tiert. 2020–2022 waren das wahlweise oder in Summe das festsitzende Con­tainer­schiff Ever Given im Suezkanal, Schneestürme in Amerika, die Corona-Pan­demie, der Ukrai­ne­krieg, die Energiekrise, da­durch gestörte Lieferketten etc. pp. 1999–2001 waren es das Jahr-2000-Problem der Software (Millennium-Bug), die Euro­ein­füh­rung, die Um­stel­lung aller Automaten usw.

Containerschiff Ever Given im Suezkanal

Für jede Allokation gibt es Auslöser. Sie sind viel­fäl­tig und kaum vorhersagbar. Aber jetzt wird es provokant. Sie sind sicher ein Teil des Phänomens, aber kaum entscheidend. Viel dominanter ist die Reaktion aller Markt­teil­neh­mer auf diese Auslöser. Durch das Verhalten jedes Einzelnen wird die Wir­kung der Trigger extrem erhöht. Erst diese Ver­stär­kung führt – gemessen an den Aus­lö­sern – zu einem völlig übertriebenen Auf­schau­keln des Gesamt­systems.
Käme ein Marsmännchen während einer Allo­ka­tion auf die Erde, würde es denken: »Was machen die denn da? Es gibt ja gar nicht zu wenig Ware. Es gibt ja noch nicht mal einen so hohen Bedarf. Aber jeder bestellt gerade, was er kriegen kann, und deshalb fehlt es einem ande-ren. Die Erdenmenschen haben ledig­lich ein Verteilungsproblem.«

Was Hamsterkäufe bewirken können, haben wir alle in der Pandemie beim Toilettenpapier gesehen. Es wird wohl niemand mit vollem Ernst behaupten können, dass der Verbrauch dieses Produktes da­mals tatsächlich so sprung­haft angestiegen ist. Vielmehr hatten in dieser Zeit kollektiver Hysterie einige zu Hause den Keller voll und ihre Nachbarn dafür viel­leicht ein echtes Problem.

Denken Sie mal darüber nach, dass viel­leicht ein Jahresbedarf Ihrer heute feh­len­den »Gol­de­nen Schraube« in einem an­de­ren Lager liegt oder dass sie nur des­halb nicht produziert werden konnte, weil in der Fabrik andere Bauteile für ir­gend­je­man­den vorgezogen werden mussten, welche dieser dann lediglich ein­gelagert hat.

Bestellung und Bedarf

Wir verwechseln leider immer wieder Bestel­lung mit Bedarf. Die zeitliche Kom­po­nen­te wird dabei kom­plett vergessen. Bestellt ein Akteur aus eigenen berechtigten Sicherheits­über­le­gungen eine Ware heute schon für sofort, die er eigentlich erst später benötigt, steigt nicht der Bedarf im Markt (was je­doch fast alle nur zu gerne glauben wollen). Bestellt er zudem längerfristiger, steigen auch dann nur die Auftragseingänge und die Bestell­hori­zonte, nicht aber der eigentliche Bedarf. Zumindest nicht viel mehr als im langjährigen Schnitt.

Die den hohen Auftragseingängen folgenden, oft auch deutlich höheren Umsätze fließen tatsächlich zum großen Teil in die Vorräte der vielen Liefer­ketten­glie­der.
Die pauschale Aussage »die Lager sind leer« war nie richtig. Es waren immer nur mehr oder weniger viele einzelne Fächer leer. Teilweise lässt sich der immens ansteigende Umsatz noch durch Preis­er­höh­ungen erklären. Ein generelles stück­zahl­ba­siertes sprunghaftes Marktwachstum um so hohe Werte, ist jedoch gar nicht in der Breite möglich.

Wo sollen die vielen zusätzlichen Fa­brik­hallen, Mit­ar­beitenden, Maschinen etc. für einen ad hoc 40 % größeren Markt denn herkommen? War die Aus­las­tung der Industrie vor der Allo­ka­tion wirklich so niedrig? Wohl kaum!
Berücksichtigt man hingegen, dass jeder in der Kette während der Euphorie ein wenig mehr be­stellt – denn der Markt wächst ja gerade so toll – wird klar, dass aus einem tatsächlichen Bedarf über ein paar Stufen der Supply Chain schnell die dop­pel­te angeblich benötigte Men­ge beim Her­steller ankommen kann.

Ein Beispiel

Angenommen ein normal wachsendes Säge­werk ordert vielleicht acht neue voll­auto­ma­tische Holz­be­ar­bei­tungs­maschinen pro Jahr. In jeder sind, sagen wir, 1.000 elek­tro­nische Bauelemente ver­baut – insge­samt also 8.000 Stück. Weil man dort jedoch gehört hat, dass die Liefer­zeiten sich deutlich ver­län­gern, be­stellt man sicher­heits­halber zehn An­la­gen für sofort. Besser lagern und liefer­fähig blei­ben, als zu warten. Beim Hersteller der Maschine kommt also ein »Bedarf« von 10.000 Bau­teilen an.

Weil auch er Nachrichten geschaut hat, kauft er bei seinem Auftrags­fer­tiger lieber 20 % mehr. Vielleicht will sein Kunde ja nächstes Jahr sogar zwölf Ma­schi­nen. Der EMS sieht nun einen »Bedarf« von 12.000 Bau­teilen. Voraus­schauend bestellt er jedoch etwas dazu, also bei­spiels­weise 14.000 Stück. Packt der Distri­butor auch noch etwas drauf, kommen beim Her­stel­ler 16.000 Stück an – also das Dop­pel­te des tat­säch­li­chen Bedarfs und für sofort. Da er jedoch seine Produktions­kapa­zität nicht so schnell hoch­fahren kann, kom­mu­ni­ziert er neue längere Liefer­zeiten ins System. Diese führen dann auto­matisch wieder zu wei­teren Bestel­lungen.

Hamsterkaüfe während der Pandemie

Mein lieber, ebenfalls sehr erfahrener Kollege im FBDi, Dietmar Jäger, sagt dann immer: »Der Auf­trags­eingang ist eine Funktion der Lie­fer­zeit und umgekehrt.« Wie recht er doch hat.

Das System gerät aus den Fugen

Genau das passiert in jeder Allokation. Es gibt einen x-beliebigen Auslöser, der eine Panik er­zeugt. Diese nährt sich selbst und kocht so­lan­ge hoch, bis alle Lager voll sind, also der angebliche »Bedarf« zu­rück­geht oder der Her­steller mehr produzieren kann. Meist kommt sogar beides zusammen.

Daher rührt auch die typische Dauer von Allo­ka­tionen. Es benötigt immer etwa 18–24 Mo­nate, bis diese beiden Bedingungen in unserer Branche er­füllt sind.

Statt dieser dominant ursächlichen system­im­ma­nen­ten Psychologie und der Latenzzeiten im System werden aber lieber andere Gründe diskutiert. Es wird darüber nachgedacht, ob die Ka-pazitäten von Legacy-Produkten über­haupt erhöht werden, ob die Corona-Politik der chine­si­schen Regierung die Allo­kation verlängert, ob Vorprodukte knapp bleiben, ob die Energiewende zu einem expo­nen­tiel­len Ge­samt­wachstum führt, ob der Krieg die Lie­fer­ket­ten nachhaltig unterbricht, ob es genug Fracht-Con­tai­ner gibt, um nur einige zu nennen.

Ich antworte darauf sinngemäß mit der un­nach­ahm­li­chen Art eines Peter Ustinov als Meister­de­tek­tiv Hercule Poirot im Film »Tod auf dem Nil«, nach­dem ihm Dr. Lud­wig Bessner einige Argu­men­te gegen seine Lösungs­theorie präsen­tiert hatte: »Das mag ja auch alles sein, … aber es ist … irre­le­vant!« Der Aus­lö­ser für den An­fang ist be­liebig und der fürs Ende eben­falls. Dazwischen läuft ein gut er­for­schter massen­psy­cho­lo­gi­scher Prozess ab, und haupt­säch­lich dieser ist entscheidend.

Kann man dann überhaupt etwas machen?

Am Ende fast jeder Allokation gehen die Um­sätze wieder zurück. Das angebliche Markt­wachstum ent­puppt sich als »Vorschuss«. Etwa 75 % der Rol­len­spieler fahren das System da­bei komplett an die Wand und erzeugen den größtmöglichen Schaden. 15 % schneiden etwas besser und 10 % sehr viel besser ab als die anderen – Erfolg ist also trotzdem durch­aus möglich!

Was gerade passiert, ist jedoch nicht der Ver­such, es besser zu machen. Vielmehr liest man jetzt überall von Schuld­zu­wei­sungen.

Die Distributoren sind angeblich schuld, weil sie nicht liefern konnten. Die Hersteller sind schuld, weil sie nicht genug produziert haben und keine Termine nennen konnten. Die Kun­den sind schuld, weil sie nicht früh genug bestellt haben. Die Broker sind schuld, weil sie sich an der Not eine goldene Nase verdient haben. Alles falsch! Keiner ist alleine schuld. Wenn über­haupt, dann alle zusammen. Aber eher noch das System.

Auch wähnt sich nun jeder eingeklemmt in einer »Sandwich-Position«. Das ist logisch, denn in einer langen Lieferkette vom End­ver­brau­cher über den Einzelhändler, den Pro­dukt­her­stel­ler, den Ma­schi­nen­pro­du­zen­ten, den Produktionsdienstleister, den Distributor, den Bauteilhersteller, den Vor­pro­dukte­lie­fe­ran­ten bis zur Minengesellschaft, ist aus­nahms­los jeder in einer Sandwichposition. Und alle zeigen nach links und rechts, um einen Schul­di­gen zu fin­den. Nicht wirklich hilfreich und unter Berück­sich­ti­gung des eigenen Beitrages auch nicht fair.

Der hat Schuld!

Was also ist zu tun?

Die besseren Spieler beachten drei Regeln, die leicht klingen, jedoch in der Praxis leider nur schwer gegen die Natur des Menschen um­setz­bar sind. Die Betonung liegt hier auf schwer, nicht unmöglich. Es geht tatsächlich etwas.

Die Regeln sind:

Geraten Sie nicht in Panik.
Es erfordert Disziplin, dem überwältigenden Drang zu widerstehen, größere Bestellungen aufzugeben, wenn die Rückstände wachsen und Ihre Kunden laut nach Ware schreien oder die Verkäufer Ihnen noch mehr Angst machen (was Sie bei Ihren Kun­den im Übrigen auch nicht tun sollten).
Wenn Sie diese Disziplin nicht aufbringen, hat es für Sie und alle anderen unangenehme Folgen.

Denken Sie immer an die Ware, die sie bereits für sofort bestellt haben, die nur noch nicht eingetroffen ist.
Es ist wie bei einer Kopfschmerztablette. Wenn Sie eine Aspirin genommen haben, werfen Sie ja auch nicht alle fünf Minuten eine weitere ein, bis die Schmerzen weg sind. Warten Sie die Wirkung ab! Denken Sie also an Ihre Rück­stände. Nicht an die »Delinquencies« (»Über­fällige«), denn bei diesen ist auch das Be­stä­tigungs­datum bereits in der Ver­gan­gen­heit. Auch nicht an den gesamten »Backlog«, denn der »Auftrags­bestand« enthält sowohl Posi­tio­nen, die für sofort und solche, die für später ge­wünscht sind. Weil es in unserer Branche keinen eigenen Begriff für Ware gibt, die mit Wunsch­termin »sofort« bestellt, aber für später bestätigt ist, schlage ich »Back­orders« dafür vor (»Bestell­rück­stände«).

Also, behalten Sie Ihre Backorders im Auge. Wollen Sie die Ware wirklich, die Sie sich für sofort gewünscht haben? Stellen Sie sich vor, sie käme morgen. Nimmt Ihnen Ihr Kunde tat­säch­lich sofort den gesamten Jahresbedarf ab, wenn endlich die Goldene Schraube kommt?

Seien Sie immer sicher, dass Ihre Lieferanten ver­suchen, Ihre alten Wünsche zu erfüllen, sobald sie es können. Nicht umsonst haben Sie ja in vielen Eskalations-Meetings enormen Druck auf sie aus­ge­übt, und so müssen Sie es des­halb auch abnehmen. Denken Sie immer daran: Jeder ist für seine Wunsch­ter­mine selbst verant­wortlich.

Bestellen Sie nie mehr bei Ihrem Lieferanten als Ihr Kunde bei Ihnen.
Erinnern Sie sich, dass die Kette vor Ihnen ver­mut­lich bereits in jedem Glied einen Auf­schlag für sofort bestellt hat und dass sie länger ist, als Sie denken. Gehen Sie zudem davon aus, dass Ihr vorgelagerter Liefer­ketten­nach­bar Ihnen nicht ganz die Wahrheit sagt.

Er wird Ihnen mit großer Verve zurufen, dass er 1.000 Stück für sofort benötigt, in der Hoff­nung dann von Ihnen vielleicht wenigstens 100, die er wirklich braucht, in vier Wochen zugeteilt zu bekommen. Er glaubt, das machen zu müssen, weil er sonst befürchtet, gar nichts von Ihnen zu be­kom­men.
Machen Sie es also wenigstens selbst bei Ihren Lieferanten nicht noch schlimmer.

Nicht zu den wirksamen Maßnahmen gehört übrigens der in diesem Zusammenhang immer wieder vorgeschlagene und auch voran­ge­trie­bene rein elektronische Datenaustausch. Er ist ein Effi­zienz­segen in normalen Zeiten, aber er ver­hin­dert keine Knappheiten. Die Idee ist ja, dass eine Allo­ka­tion ausbleibt, wenn die gesamte Liefer­kette ihre Daten 1:1 durch­reicht.

Das stimmt sogar in der Theorie. Nur leider greifen in jeder menschengemachten Panik viele Akteure in die Automatismen ein und übersteuern sie. Diese Eingriffe werden dann von den Systemen verstärkt. Überschreiben Sie in Ihrem System mal eine Liefer­zeit von 12 Wochen mit 52 Wochen und beo­bach­ten Sie, welche Bestell­vor­schlä­ge es dann ausspuckt. Das erzeugt viel Auftragseingang bei Ihrem Lie­fe­ranten.

Also vermeintliches Marktwachstum? Be­den­ken Sie auch, dass es besser ist, wahre Infor­ma­tio­nen rund um die Daten aus­zu­tauschen. Kein System erkennt, ob die 16.000 Stück der echte Bedarf ganz am An­fang der Kette ist oder ob die tatsächlichen 8.000 Stück auf dem Weg zu Ihnen von allen Stationen ein wenig auf­ge­bla­sen wurden.

Wer hat denn nun den größten Schaden?

Laut Forschung ist der Schaden in der Kette beim Hersteller am schlimmsten. Er bekommt auf­ge­schau­kel­te vermeintliche Bedarfe ge­mel­det, die er nicht erfüllen kann. Weil er dafür stark kri­ti­siert wird und selbst auch große Chancen für sich sieht, beschließt er nach einiger Zeit, die Produk­tions­kapazitäten zu erweitern.

Das kostet heute extrem viel Geld. Wenn er sie nach 18 Monaten installiert hat, merken alle, dass sie zu viel auf sofort geordert haben und ihre Lager über­lau­fen. Dann reduzieren sie ihre Bestellungen.

Der Hersteller bleibt also auf seinen leeren Pro­duk­tions­hal­len sitzen. Die Großhändler haben riesige Lagerbestände, die niemand mehr ab­neh­men möchte und auch die Kun­den haben sie. Allerdings in dieser Rei­hen­folge, mit in der Kette absteigenden Wer­ten.

Customer-Distributer-Manufacturer

Es ist wie bei der berühmten Peitsche. Am Ende des Riemens knallt sie besonders heftig auf den Rücken. Als ein Distributionsvertreter in der Mitte der Supply Chain, würde ich auch am liebsten jammern und sagen, dass die Händler am härtesten be­trof­fen sind. Jeder wird sich an seiner Stelle so fühlen. Aber es ist nun mal tatsächlich der Letzte in der Kette.

Das führt nach Allokationen auch regelmäßig zu Konzentrationsprozessen auf allen Ebenen, denn die starken Firmen kaufen dann die­je­ni­gen auf, die sich überhoben haben. Nicht unbedingt gut, aber die logische Kon­se­quenz.

Auch typisch ist am Ende nahezu jeder Allo­ka­tion die Panik in die andere Richtung. Wie baut man sein zu hohes Lager ab, wenn die Con­trol­ler wieder die Macht mit der Keule des »Re­turn-of- Working-Ca­pital« über­neh­men? Indem man es wie sauer Bier zu abgewerteten Preisen auf den Markt wirft – und damit ein­mal mehr die teuflische Spirale nach un­ten antreibt.

Ach ja, und das noch zum Schluss

Eine bestätigte Lieferzeit von glatt 30, 40, 50 oder 60 Wochen ist in einer anschwellenden Allokation niemals die richtige seriöse Lie­fer­frist, sondern lediglich ein Synonym für: »Wir werden gerade mit Bestellungen überschüttet und können das nicht schaf­fen. Ich weiß es also im Moment beim besten Willen nicht.«
Kein Kunde in der Kette, also niemand von uns allen, will das hören und man kann das auch nicht ins System eingeben. Deshalb rettet man sich mit pauschalen Werten, die man schaffen zu können glaubt. Motto: spätestens in einem Jahr werden wir es wohl geliefert haben.

Fazit

Peter M. Senge beendet das Kapitel mit fol­gen­den Worten, die man nicht besser sagen könnte:
Wenn die Teilnehmer des Bierspiels die Struk­tu­ren durch­schau­en, die das Ver­hal­ten ver­ur­sachen, erkennen sie auch, dass sie die Macht haben, dieses Verhalten zu ändern und eine Bestellpolitik an­zu­wen­den, die im größeren System funktioniert. Sie entdecken etwas von der zeitlosen Wahr­heit, die der Comic Autor Walt Kelly vor vielen Jahren mit seiner be­rühm­ten Zeile in ‚Pogo‘ [ein anthro­po­mor­phes Opos­sum] zum Aus­druck brachte:

Met the Enemy …

»Wir sind dem Feind begegnet, und wir sind es selbst.«

In diesem Sinne: Nach solch einem Zyklus gibt es erst mal wieder genug Kapa­zi­täts­re­ser­ven für ein paar normale Wachstumsjahre. Irgendwann sind diese jedoch gefüllt und es kommt ein beliebiger neuer Auslöser.

Seien Sie also sicher, dass es wieder eine Allo­ka­tion geben wird. Ihre eigene X-te, die fünfte für den heute 20-jäh­ri­gen FBDi und meine per­sön­li­che siebte.

Aber jetzt wissen wir ja alle, was zu tun ist. Viel Erfolg dabei!

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