20 Jahre FBDi – Distribution
im Wandel der Zeit
»Distribution / Supply Chain«

20 Jahre FBDi – Distribution im Wandel: »Distribution / Supply Chain«

Zurück aus der Zukunft

17. Januar 2024

Halbleitermarkt 2024 im Fokus von Innovation und Politik

»Zurück aus der Zukunft«
Georg Steinberger, Vorstandsvorsitzender des FBDi e.V.

Noch liegen die Zahlen für das vierte Quartal 2023 nicht vor, aber in der Tendenz dürfte der Kon­soli­die­rungs­trend anhalten. Der Um­satz ent­schleu­nigt sich auf noch immer hohem Niveau, die Auf­trags­lage ist erwartbar zu­rück­hal­tend.

Prognose der globalen Anzahl von 300-mm-Waferfabs©

Prognose der globalen Anzahl von 300-mm-Waferfabs©

»Die Vergangenheit ist eine Zukunft, die bereits passiert ist.«

Dies ist das Motto der famosen Steam­punk-Bewegung. Was das mit der Dis­tri­bution zu tun hat? Nun, die große Knap­pheit von 2021 und 2022 führte zu Reak­tionen: Niemand möchte gern eine solche Si­tua­tion mit Liefer­zeiten von einem Jahr oder länger wieder er­le­ben; des­halb wurden viele Auf­träge, die weit in die Zu­kunft reich­ten, platziert. Viele Her­stel­ler und Dis­tri­bu­toren appli­zier­ten ob der lan­gen Reich­weite und des finan­ziel­len Risi­kos strikte No-Cancel­lation-No-Re­turn-Regeln. Die Zuvkunft wurde also be­reits in der Ver­gangen­heit ver­bucht und zu großen Tei­len auch ge­lie­fert, mit Re­kord­zahlen bei Auf­trä­gen und Um­sätzen in rund zehn Quar­ta­len.

Jetzt sind wir zurück aus der Zukunft und se­hen eine Markt­kon­so­li­die­rung, die so über­fällig wie un­vermeid­lich war. Und die wird so lange an­hal­ten, bis die Kunden­läger wieder leer sind, mög­licher­weise etwas länger, denn die all­ge­mei­nen Kon­junk­tur­sig­nale, die auch vor un­se­rer In­dus­trie nicht halt machen, sind nicht so er­mu­ti­gend, wie wir uns wün­schen würden. Außer bei Auto­mo­tive und Military/  Aero­space sind die Aus­sich­ten eher ver­hal­ten, und ob der sich grade an­bah­nen­de Boom bei KI-Chips sich auch für Eu­ro­pa positiv aus­wirkt, bleibt ab­zu­warten.

Obwohl das Jahr 2023 noch leichtes Wachs­tum zeigen konnte auf­grund des guten er­sten Halbj­ahrs, werden die Umsätze der Dis­tri­bu­tion im Jahr 2024 nicht auf diesem irren Niveau verhar­ren können. Der Grund ist simpel: Legt man die Zahlen von DMASS Europe (85 Prozent Markt­ab­deckung in Euro­pa) zu­grun­de, dann erreich­te die euro­päi­sche Kom­po­nen­ten­distri­bution von 2020 bis 2023 ein Wachs­tum von rund 75 Prozent auf über 21 Mil­li­ar­den Euro. Dass es sich hierbei nicht (nur) um eine wun­der­same Markt­ver­me­hrung dank un­vor­her­ge­se­hener Inno­va­tionen han­delte, sondern um einen Post-Covid-Nach­laufef­fekt, gepaart mit Preis­er­hö­hungen, Allo­ka­tion und Panik­käu­fen, ist offen­sicht­lich.

Es ist wohl schwer zu vermitteln, dass bei normalen Wachs­tums­raten das 2023 er­reich­te Umsatz­niveau erst ein paar Jahre später einge­tre­ten wäre und jetzt einfach wieder Nor­ma­li­tät herrscht. Schön wäre es, wenn Jour­na­listen und Zeit­ungen das mal so sach­lich dar­stel­len und nicht gleich von Markt­ein­bruch oder Schrum­pfung schreiben würden, wenn sich eine über­fäl­lige Re­gu­lie­rung auf Rekord­niveau ein­stellt, aber sei’s drum. Zur Übung fürs »Halbvoll­sehen« sei die Web­site Good News (goodnews.eu) em­pfohlen.

Lesen Sie übrigens, wenn Sie positiv bleiben wollen, lieber nicht die von Standard & Poors monatlich ver­öffent­lichten PMIs (Production & Manu­fac­tu­ring Index). Sie geben das Vertrauen der produ­zie­ren­den Industrie ins künftige Wachs­tum wieder, bzw. Miss­trauen, denn seit Mitte letzten Jahres gehen diese quer durch die Welt auf unter­ir­dische Levels zurück. Man weiß nie, ob die gefühlte Lage schlech­ter ist als die Rea­l­ität, was ich ange­sichts der vielen Kri­sen welt­weit durch­aus ver­stehen könnte. Ge­rade in Deutsch­land ist der Unter­gang des Abend­landes Prog­ramm, wenn zum Bei­spiel in einer Kita ein Weih­nachts­baum fehlt.

Zurück zu unserem Markt: Die Kompo­nen­ten­in­dus­trie hat ihre eigene Dy­na­mik und läuft nicht immer pa­ral­lel zur Gesamt­ent­wicklung. Das liegt daran, dass sie super-inno­va­tiv, komplex, global, viel­fäl­tig und in jeder Re­gion anders struk­tu­riert ist. Die Frage bleibt: Nun, da die Allo­ka­tion größten­teils vorbei ist und jeder volle Läger hat, wie geht’s weiter?

Umsatz mit KI-Chips in den Jahren 2022 bis 2030, in Milliarden US-Dollar

Nehmen wir mal die World Semicon­ductor Trade Statis­tics (WSTS), den Markt­ana­lyse-Arm der Semi­con­ductor Inter­na­tio­nal Asso­cia­tion (internationaler Halb­leiter­ver­band). Sie hat kürzlich ihre Herbst­prog­nose für 2023 und 2024 vor­ge­stellt und für 2023 die welt­weiten Wachs­tums­aus­sichten von –10 Pro­zent auf –9 Pro­zent (Europa: +6 Pro­zent) korri­giert. Für 2024 erwartet der WSTS sogar +13 Pro­zent welt­weit (Europa: +4,3 Pro­zent).

Vergleich Distribution: Mit viel Glück wird 2023 knapp positiv bleiben (kein Wunder, bei 75 Pro­zent Plus in drei Jahren) und 2024 wird ein Ab­schwung von diesem hohen Niveau er­fol­gen, also gegen­läufig zu den WSTS-Erwar­tun­gen für Europa. Wider­spruch? Nein, sondern unter­schied­liche Kunden­struk­tur und unter­schied­liches Timing, wie dutzende Male in der Vergangen­heit erlebt.

Die erste Gretchenfrage

Woher kommen die hohen Erwartungen für den Gesamt­markt? Weltweit basieren sie auf zwei Produkt­grup­pen: KI-basierte Logik (haupt­säch­lich GPUs) und soge­nannte High-Band­width-Me­mo­ries, die system­kritisch für den Erfolg von KI in Data­centern sind. Allein die Speicher sollen um 44 Pro­zent wachsen, und zwar haupt­äch­lich in den USA und Asien. Überhaupt: Die Um­sätze in den USA sollen nächs­tes Jahr um 22 Prozent wach­sen, denn dort boomt KI auf breiter Front, wie man an den Quartals­er­geb­nis­sen von Nvidia, dem GPU-Gigan­ten, sieht, der gerade Intel und Sam­sung im Halbleite­rum­satz über­holt hat.

Ohne diesen Sonder­effekt bleibt der Markt zwar ver­hal­ten po­si­tiv, aber allein der Aus­druck »der Markt« ist eigentlich schon falsch, da wir über viele Teil­märk­te reden, die un­ter­schied­lich ticken, aber sich doch irgend­wie ge­gen­seitig be­ein­flussen: Auch KI-Server brauchen Ana­log-ICs, stink­nor­male Con­troller und viele Com­mo­di­ties, die auch in Auto­mo­bilen, Industrie­elek­tronik und anderen An­wen­dungen zum Einsatz kommen.

Prognose des Marktpotenzials mit KI im Jahr 2030, in Billionen US-Dollar

In Europa findet dieser KI-Boom bestenfalls teil­weise statt, jedenfalls nicht auf der Hard­ware-Ebene. Welche Markt­seg­mente spielen hier­zu­lande die wich­tigste Rolle? Auto­mo­tive und In­dus­trial. Das erklärt auch, warum der WSTS für Europa nur gut 4 Prozent Wachs­tum für 2024 annimmt, denn die Auto­mobil­in­dus­trie schürt nach wie vor hohe Er­war­tungen – haupt­säch­lich ge­trieben von E-Autos.

Aus der Indus­trie­elek­tronik kommen da­ge­gen wenig positive Sig­nale (ich habe extra beim WSTS nach­ge­fragt). Auch die Kom­po­nen­ten­dis­tri­bu­tion wird vom KI-Boom frühes­tens dann profi­tieren, wenn die An­for­de­rungen von Kun­den für KI-Hard­ware kom­men; das er­for­dert jedoch noch eine Menge an Auf­klä­rungs- und Design-Arbeit.

Mithin bleibt für 2024 die Aussicht übers­chau­bar. Das Einzige, was das än­dern könnte, wäre eine erneute Ver­knap­pung eines breiten Kom­po­nen­ten­spek­trums – KI-Boom in USA kom­bi­niert mit he­runter­ge­fah­re­nen Kapa­zi­tä­ten bei vielen Her­stel­lern –, aber wer möchte darauf wetten? An den lang­fris­ti­gen Erfolgs­aus­sichten der Halb­leiter­in­dus­trie, auch in Europa und damit auch unserer Dis­tri­bu­tions­in­dustrie, ändert die­ses Kon­so­lidie­rungs­jahr übrigens nichts.

Die zweite Gretchenfrage

… bezieht sich auf die politische Einfluss­nahme auf den Halbleiter­markt bzw. die Halb­leiter­in­dustrie, hin­rei­chend doku­men­tiert durch die »Chips Acts« in den USA, Europa, Japan, Taiwan, Korea, Indien und natürlich China: Welche Aus­wir­kun­gen werden diese Sub­ven­tio­nen auf die Struk­tur des Halb­leiter­ge­schäfts haben? Im Westen scheint der Plan zu sein, China zu­neh­mend (zu­mindest aus der Leading-Edge-) Ferti­gung he­raus­halten zu wollen, in China, die Selbst­ver­sor­gung so weit wie mög­lich sicher­zu­stellen.

Das Ergebnis wird wohl die Existenz zweier Wirt­schafts­blöcke sein, die ihren Teil des Mark­tes ab­sichern wollen. Funktio­niert das oder bricht hier das auf Globa­li­tät ange­legte Geschäfts­mo­dell zusam­men, weil die »Econo­mies of Scale« fehlen? Kurz­fristig ist das noch kein Thema, aber so­bald all die an­ge­kün­digten 300-Mil­li­meter-Fabs stehen (ab 2025?), wird sich er­weisen, ob die Kapa­zi­täten alle be­nötigt werden und was das für die Wirtvschaft­lich­keit bedeutet.

SEMI International beklagte übrigens, dass es für die berühmte Billion US-Dollar an Halb­lei­ter­um­satz 2030 mög­lich­er­weise zu wenig Fabs geben könnte. Knometa Resarch dagegen veröffent­lichte im Laufe dieses Jahres ein State­ment, dass 2027 wohl 230 300-Milli­meter-Wafer­fabs am Start sein werden. Bei geschätzten 750 bis 800 Millia­rden US-Dollar Umsatz würde dies pro Fab durch­schnitt­lich 3,5 Mil­li­ar­den Dollar Um­satz be­deuten (natürlich muss man berück­sich­tigen, dass zu dem Zeit­punkt auch noch eine Menge an alten 200-Millimeter Fabs lau­fen werden). Reicht das, um die hor­ren­den Inves­ti­tionen zu recht­fer­tigen?

Wie steht die Distribution in dieser Neu­de­fi­nition der Glo­ba­li­sierung da? Ist das Modell Distri­bu­tion, wie wir es kennen, unter Druck? Ich würde sagen, nicht mehr und nicht weniger als in den letzten 40 Jahren. Anpassen an neue Gege­ben­heiten, stärke­rer Fokus auf Digita­li­sierung und Effi­zienz, Defi­ni­tion neuer Geschäfts­movdelle und last but not least ein übers Tages­ge­schäft hinaus­ge­hender Blick auf Trends und Pain-Points bei Kunden sind die wesent­lichen Vo­raus­set­zungen, um rele­vant zu bleiben. Bis dato ist dies trotz mancher Dis­rup­tio­nen gut ge­lungen.

Gefährlich wäre es jedoch, die poli­ti­schen Trends zu über­sehen. Wenn die Executives der Halb­lei­ter­in­dus­trie über ein Re­design der Halb­leiter-Supply-Chain dis­ku­tieren, muss nicht unbedingt nur China ge­meint sein.

Quelle: elektroniknet.de 1/2023

© Bildrechte, KI/SMD

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